Dale Carnegie

Früh entwickelte ich eine Faszination für Ratgeber. Keine Ahnung warum, aber wenn mir ein Buch ein besseres Leben bescheren kann, bin ich angefixt. Ich bin auch jemand, der im Internet Texte über Selbstoptimierung liest. „10 Wege zum Glück.“ In Zeiten von heftig.co und Buzzfeed ist mir die Faszination für solche Titel unangenehm peinlich geworden. 

Ehrlich gesagt, habe ich nie einen Ratgeber gelesen. Nur diese Internethäppchen, aber nie ein ganzes Buch. Die waren mir dann doch immer zu esoterisch und zu teuer. Mittlerweile überzeugen mich weder die Bücher noch die Texte. Irgendwie bin ich alt und verbittert geworden in Bezug auf solche Dinge. Die meisten Tipps fühlen sich nach gesundem Menschenverstand an. Ich bilde mir arroganterweise ein, bestimmte Dinge auch ohne Ratgeber gelernt zu haben. 

Als ich das erste Mal von Dale Carnegie hörte, als man mir sein Buch „How to Stop Worrying and Start Living“ empfahl, reagierte ich entsprechend – verbittert defensiv. Einen Ratgeber mit diesem Titel würde ich nicht lesen. Man drängte mich dazu. Und die Meinung des Drängenden war für mich immer eine Qualitätsgarantie. Also ergab ich mich dieser mündlichen Fünf-Sterne-Rezension und las die ersten Seiten, bis ich merkte, dass irgendwas anders war. Dieser Ratgeber war keine 10 oder 20 Jahre alt. „How to Stop Worrying and Start Living“ wurde 1948 veröffentlicht und basierte auf Geschichten und Erfahrungen, die weiter zurückreichten.

Eine psychologische und soziale Historie eröffnete sich mir, ohne dass ich es gemerkt hatte. Trotz einiger offensichtlicher Hinweise fühlten sich die Geschichten so wie die Sprache, in der sie geschrieben waren (ich las das englische Original), ungewöhnlich zeitlos an. Jedes Kapitel erzählte Geschichten von kleinen Leuten und von großen Namen. Dale Carnegie sprach dabei über psychische Probleme, wie sie auch heute noch vorkommen und auch heute noch für Novitäten unserer Zeit und unserer Gesellschaft gehalten werden. Damals waren die Menschen tatsächlich nicht weniger gestresst. Auch die Gründe unterschieden sich nicht wesentlich. 

Diese historischen Vergleiche und biografischen Einblicke lehrten mich mehr, als ich von jedem modernen Ratgeber erwartet hätte. Dale Carnegie entwarf vermutlich den Prototypen für moderne Ratgeber mit viel Scharfsinn und Einfühlungsvermögen. Man möchte diesen Mann allein auf Grund seiner angenehmen Sprache in die Arme nehmen, ganz fest drücken und stundenlang mit ihm reden. Ich hätte das Bedürfnis – aber ich bin ja auch seltsam und lese Ratgeber.

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